DIETER KRIEG

IN DER LEERE IST NICHTS

22.11.2014 - 07.02.2015

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Dieter Krieg las viel, immer die Literatur seines Jahrhunderts. Vian, Beckett, Gombrowicz, Proust, Musil, Schmidt, Freud, Joyce, Gütersloh, Groddeck, Laederach, Jelinek, Gaddis, Willeford, Sartre, Heidegger, vieles mehr. Das war kein Bildungsweg, er las, wie er wiederholte, zu seinem Vergnügen, er kam auch so seinem Stoff näher. Manchmal bereitete ihm die Begegnung mit dem eigenen, bereits Bild gewordenen künstlerischen Material in der Literatur – was ihm bei Laederach besonders auffiel – Nachdenken: kam das aus seinen Bildern, oder war es ein Stoff, der zu verschiedenen Zeiten unabhängig voneinander auftauchte? Zu sagen, dass er die Literatur benutzte, ist sicher falsch. Sie war Teil seines Lebens im Atelier: 'Keine Landschaft, kein Horizont, keine Reise', und eben auch: 'In der Leere ist Nichts’. Diesen Satz, dem er zwei große Bilder-Zyklen widmete, kommentiert er in einem seiner lakonischen Zettel-Kompendien so: 'Sartre Geschwätz’. Genau daran, an den tiefen ernsten Worten, ihrem ins Groteske übersteigerten Anspruch, am Stoff, der als Text und Gegenstand Bild werden sollte, entzündete sich sein Geist, seine Kunst. 

Die Ausstellung in den KUNSTSAELEN zeigt Arbeiten, die in der Entstehung in die 1960er Jahre zurückreichen, und eine Auswahl der späten, 2004 entstandenen, in Bilder verwandelten Zeichnungen, die den ebenso sprechenden Titel 'Macht nichts’ tragen; 'ohne Macht über das Nichts’, wie er an anderer Stelle aufschreibt. Ein Schwerpunkt in der Ausstellung liegt bei den Bildern der 1980er/1990er Jahre. Der malerische Aufwand ist natürlich; die pastose Oberfläche ist dem Willen zur Überbietung der Realität geschuldet. Die Bilder öffnen nicht den über Jahrhunderte gewohnten freundlichen Bildraum, die Gegenstände kommen dem Betrachter vielmehr entgegen: gefordert ist wahrnehmende Auseinandersetzung.

Bei der Frage nach der Vergewisserung kultureller Modernität kommt der figürlichen Kunst ganz besondere Bedeutung zu: sie ist eine der entscheidenden Gradmesser. Eine Gemeinschaft, die figürliche Darstellungen zur Reflexion nutzt, belebt ihr Handeln mit symbolischen Inhalten. 

Dieter Krieg untersucht unsere Geschichte anhand der Schrift und der in ihr eingeschriebenen Triebhaftigkeit, anhand der malerisch zu analysierenden Gegenstände wie Kanapee und Hähnchenschenkel, anhand einer kunstgenauen Aufarbeitung der Story unseres Lebens. In kollektiv verbindlichen Bildern geschieht dies, ausdrucksstark schön, verstörend zugleich und konfliktreich.

Eduard Beaucamp schreibt: 'Die jüngere Kunstentwicklung dreht sich im Kreis. Der Szene fehlt es offensichtlich an theoretischer Phantasie, an Zukunftsvorstellungen, an Problembewusstsein, an Ideen und Zielen, die im Jahrhundert der Moderne in so verschwenderischer Fülle ins Kraut geschossen waren. Diskutiert wird heute vordergründig über kommerzielle Erfolge und Preise. Käme wieder eine Debatte jenseits des Marktes in Gang, könnte das Werk von Dieter Krieg ein Ausgangspunkt, eine Quelle der Inspiration sein. Imponierend sind nicht allein das ästhetische Gewicht und die Vitalität einer vielfach monumentalen, in Riesenformaten sich manifestierenden und behauptenden Malerei. Interessant sind die Wege, Methoden und Möglichkeiten, die seine Kunst gesucht und erschlossen hat und die zum Weiterdenken auffordern. Dieter Kriegs Werk könnte eine ästhetische Debatte neu eröffnen.'

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Dieter Krieg read voraciously, focusing on the literature of his century. Vian, Beckett, Gombrowicz, Proust, Musil, Schmidt, Freud, Joyce, Gütersloh, Groddeck, Laederach, Jelinek, Gaddis, Willeford, Sartre, Heidegger and much more. This was no educational goal, he read, as he recalled, for his enjoyment. Through reading, he came closer to his subject matter. Sometimes the encounter with his own already realized artistic material in literature, as struck him so particularly in Laederach, gave him cause to think: Did this come from his paintings, or was it material that emerged independently at different times? To say, however, that he 'used' literature, is clearly mistaken. Literature was a part of his life in the studio: „Keine Landschaft, kein Horizont, keine Reise“ (no landscape, no horizon, no journey) as well as 'In der Leere ist Nichts' (in the emptiness is nothing). This last sentence, to which Krieg devoted two large painting cycles, he also referred to in his laconic style as „Sartre babble.“ Precisely therein, in those deeply earnest words, their grotesquely exagerrated claim, Krieg found the material by which paintings could be created from text and object; a discovery that ignited his mind and his work. 

The exhibition in the KUNSTSAELE presents works dating back to Krieg's emergence in the 1960's, as well as a selection of later pieces from 2004. The 2004 works, drawings transformed into paintings, carry the apt title 'Macht nichts' (it doesn't matter); „ohne Macht über das Nichts“ (without power over the nothing), as Krieg elsewhere wrote. Spotlighted in the exhibition are works from the 1980s and 1990s, whose painterly efforts and impasto surfaces demonstrate the will to outdo the visual experience of reality. The images do not offer the expected, centuries-old friendly pictoral space, but rather advance upon the viewer, compelling a perpetual conflict.

Toward the question of the affirmation of cultural modernity, figurative art embodies a very important meaning; it is a deciding touchstone. A community that employs figurative representation as self-reflection enlivens its actions with symbolic content. 

Dieter Krieg studies our history through writing and the impulsiveness registered therein, through the means of painterly analyses of subjects, such as canapés and chicken legs, and through artistically specific reworkings of the story of our lives. In collectively bound images this story appears expressively beautiful, disturbing and at the same time full of conflict. 

Eduard Beaucamp writes: „Recent artistic development is turning in circles. The scene has an apparent lack of theoretical imagination, of plans for the future, of problem-awareness, of ideas and goals that in the century of modernity bloomed with such profusion. Today the discussion is superficial, concerning commercial success and prizes. If a debate beyond the market could gain momentum, the work of Dieter Krieg could be a jumping-off point, a source of inspiration. Not only is the aesthetic weight and the vitality of the many monumental, large-format and assertive paintings impressive, but the ways, methods and possibilities that his artwork searches, how it opens up and prompts further thought is also interesting. Dieter Krieg's work could inaugurate an entirely new aesthetic debate.“

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